Presseartikel aus „Die Glocke“ vom 18.April 2020
Redakteurin: Susanne Schulte-Noelle
Rietberg (ssn) – Viele der alteingesessenen Rietberger können sich noch gut daran erinnern, als in dem Gebäude an der Rathausstraße 1 das Lebensmittelgeschäft Hamschmidt mit frisch erlegten Fasanen und Kaninchen um die Gunst der Kunden warb. Das liegt freilich schon Jahrzehnte zurück.
Jetzt planen die aktuellen Eigentümer Benjamin und Augin Sari den Abriss der geschichtsträchtigen Immobilie. Ein Fehler, sagt Architekt Olaf Peterschröder. „Haus Hamschmidt darf meines Erachtens eine bedeutende architektonische und städtebauliche Rolle zugebilligt werden, die nicht ohne Not aufgegeben werden sollte“, stellt der gebürtige Emsstädter, der heute in Höxter wohnt, in einem Schreiben an diese Zeitung heraus.
So habe nicht nur das Gebäude selbst einen eigenständigen Zeugniswert für den historischen Stadtkern: Auch sein Standort und seine städtebauliche Wirkung am Nordtor rechtfertigen aus der Sicht des Fachmanns den Erhalt des Objekts – und überdies eine Unterschutzstellung als Baudenkmal.
Schließlich müsse eine Immobilie weder berühmt, besonders alt, kostbar oder schön sein, um dieses Prädikat zugesprochen zu bekommen. „Entscheidend für die Denkmaleigenschaft ist allein der an der Bausubstanz fest zu machende historische Zeugniswert. Und der liegt beim Haus Hamschmidt auf der Hand, wenngleich nicht sofort und für Jedermann ersichtlich.“
Das Gebäude wurde demnach in der Mitte der 1930er-Jahre als zweigeschossiges Wohn- und Geschäftshaus unter markantem Mansardendach errichtet. „Der wohl gestaltete Wechsel von putz- sowie klinkersichtigen Oberflächen reagiert dabei auf die unterschiedlichen Nutzungseinheiten des Objekts und differenziert den sachlichen Baukörper zugleich in seiner Gesamtwirkung“, schreibt Peterschröder.
Die besondere städtebauliche Situation am Nordtor werde wie selbstverständlich in die architektonische Disposition der Immobilie übernommen, indem die nordwestliche, straßenseitige Gebäudekante als wirkmächtiger, dreigeschossiger Eckrisalit ausgeformt wird. Unübersehbar seien die Anklänge an das Formenvokabular des Neuen Bauens (Bauhaus-Architektur), die sich in der schmucklos-sachlichen Gestaltung und nicht zuletzt in den visuell übereck gestellten Sprossenfenstern des Eckrisalits verdeutlichen. „Und das alles unter dem Eindruck zeitgenössischer architektonischer Moden, die sich damals verzögert in der Provinz ausbreiteten und dabei zugleich die tradierten Sehgewohnheiten und baulichen Erscheinungsbilder in einer Mischform integrierten.“
Haus Hamschmidt sei natürlich kein „Bauhaus“-Vertreter, sagt Olaf Peterschröder. Dennoch besteht nach seiner Auffassung ein öffentliches Interesse an der Erhaltung und Nutzung des Gebäudes – „und ich wage die Vermutung, dass die Untere und die Obere Denkmalbehörde zu einer ähnlichen Einschätzung gelangen werden“.
Denn schützenswert im Sinne des Denkmalgesetzes sei eine Sache, „wenn sie bedeutend für die Geschichte des Menschen, für Städte und Siedlungen oder für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse ist und für die Erhaltung und Nutzung künstlerische, wissenschaftliche, volkskundliche oder städtebauliche Gründe vorliegen“.
Haus Hamschmidt sei eine solche „Sache“, betont der Architekt und ist überzeugt: „Rat und Verwaltung könnten das Heft des Handelns in die Hand nehmen: In der Liste des zu schützenden Kulturguts wird das Objekt Rathausstraße 1 vermutlich bereits gelistet. Im nächsten Schritt sollte ‚von Amts wegen‘ eine Unterschutzstellung durch die Stadt erfolgen.“
Die Pläne der Bauherren Benjamin und Augin Sari für das Objekt Rathausstraße 1 stoßen auch bei der Rietberger SPD-Fraktion auf erhebliche Kritik. Die Sozialdemokraten beantragen daher zur nächstmöglichen Sitzung des Stadtrats, das Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen.
Als er aus dieser Zeitung erfahren habe, dass das alte Haus Hamschmidt dem Erdboden gleichgemacht werden soll, hätten bei ihm die Alarmglocken geschrillt, sagt Fraktionschef Gerd Muhle (Bild). „Das Gebäude ist das markanteste in der städtebaulichen Eingangssituation der nördlichen Rathausstraße und absolut bildprägend. Es wäre daher fatal, wenn es verschwinden würde“, stellt er heraus.
Nicht einverstanden zeigen sich die Sozialdemokraten nicht zuletzt mit der Aussicht, dass der Neubau nach den Plänen der Saris höher ausfallen wird als das jetzige Objekt. Schließlich sei seinerzeit politisch festgelegt worden, dass ein Abriss nur dann erfolgen darf, wenn die künftige Immobilie in Form und Farbe mit der alten identisch ist, erinnert sich Muhle. Die einzige Möglichkeit, das prägende Bauwerk noch zu retten, ist aus Sicht der SPD eine zügige Unterschutzstellung. „Wenn die Bagger anrollen, ist es zu spät. Wir müssen jetzt handeln. Und da die Stadt die Untere Denkmalbehörde darstellt, kann sie auch entscheiden, ob das Haus Rathausstraße 1 denkmalwürdig ist“, sagt Muhle.
Er sei zuversichtlich, dass sich in dieser Angelegenheit ein Konsens mit den übrigen Ratsmitgliedern finden wird. Schließlich habe er in Gesprächen bereits breite Zustimmung herausgehört – und das auch bei jenen Fraktionen, die der SPD sonst nicht nahestünden. Der Sozialdemokrat hegt darüber hinaus „Null Zweifel“ daran, dass sich anschließend mit der Oberen Denkmalbehörde das nötige Benehmen herstellen lässt, um das ehemalige Haus Hamschmidt vor dem Abriss zu bewahren. Die nächste Ratssitzung findet am Donnerstag, 23. April, ab 18 Uhr im Alten Progymnasium an der Klosterstraße statt.