»Den Staat nicht verkommen lassen«

Für die SPD-Forderung nach Steuererhöhungen habe der Bürger Verständnis, wenn man erkläre, wofür das Geld eingesetzt werden solle, nämlich für Kommunen, für Infrastruktur, für Straßen und Schienen, meint Thorsten Klute. Bild: Westfalen-Blatt

Kreis Gütersloh (WB). »Nichts ist unmöglich«: So schätzt Thorsten Klute (39), Bürgermeister in Versmold, seine Chancen als SPD-Bundestagskandidat im Kreis Gütersloh ein. Im WB-Interview spricht er über seine Enttäuschungen bei der SPD-Listennominierung und warum er Steuererhöhungen und einen starken Staat für richtig hält.

  • Sie waren mit 30 Jahren einer der jüngsten Bürgermeister in NRW und gelten in Versmold als etabliert. Was bewegt Sie, für den Bundestag zu kandidieren? Wollten Sie das schon immer?

    Thorsten Klute:So etwas kann man nicht planen. Ich sehe, wir können in unseren Kommunen eine Menge bewegen. Wir können viele Dinge selber machen, aber es gibt Punkte, wo wir nicht mehr in der Lage sind, alles zu regeln. Das ist die Finanzausstattung der Kommunen, das sind Fragen von Armutsentwicklung, Arbeitsmarktentwicklungen. Ich kandidiere für den Bundestag, um unter anderem die Kommunen zu stärken und dem ländlichen Raum eine zusätzliche Stimme zu geben.

  • Sie haben jung die Parteischulen der SPD besucht. Haben Sie schon damals an ein Bundestagsmandat gedacht?

    Thorsten Klute:Ich habe das nie ausgeschlossen. Das ist aber nicht so planbar. Es haben schon sehr viele an einem Zaun gerüttelt und gesagt: Hier will ich rein. Aber so funktioniert es in der Regel nicht. Es ist wichtig, solide und kontinuierliche Arbeit zu leisten.

  • Dass Sie von der SPD nicht auf einem aussichtsreichen Listenplatz platziert wurden, war ein herber Schlag für Sie?

    Thorsten Klute:Daraus habe nie einen Hehl gemacht.

  • Es war doch alles so gut vorbereitet. Sie wurden stellvertretender SPD-Landesvorsitzender. Das ist doch eine Position, von der man annehmen kann, dass so jemand durchgebracht werden muss. Oder haben Sie persönlich nicht überzeugt?

    Thorsten Klute:Nein, den Eindruck habe ich nicht bekommen. Ich weiß inzwischen, dass ich das nicht persönlich nehmen muss. Wir haben sieben Wahlkreise in OWL. Vier davon waren in der Geschichte aus Sicht der SPD immer sehr sichere Wahlkreise. Drei davon nicht. Das war bis 2009 eigentlich immer so. Als die SPD nur bei 23 Prozent landete, gingen als sicher geltende Wahlkreise verloren. Früher hat man die Wahlkreise mit den wenigsten Chancen, nämlich Höxter, Paderborn und Gütersloh, auf die Liste nach vorne gestellt und die anderen nicht abgesichert. Aus der Erfahrung von 2009 heraus sind die Wahlkreise Bielefeld und Minden auf Nummer sicher gegangen. Das sind starke Delegiertengruppen und so ist es zustande gekommen.

  • Sie sprechen es an: Die Aussicht, im Kreis Gütersloh ein Direktmandat für die SPD zu holen, ist nicht sehr groß. Wie motivieren Sie sich für den Wahlkampf?

    Thorsten Klute:Natürlich weiß ich, dass es der SPD noch nie gelungen ist, diesen Wahlkreis Gütersloh direkt zu holen. Ich sehe aber auch, dass Städte politisch auch gedreht werden konnten. Zum Beispiel in Rietberg oder auch Versmold. So sage ich: Nichts ist unmöglich.

  • Mit welcher Botschaft könnte man Ralph Brinkhaus hier am ehesten beikommen?

    Thorsten Klute:Ich will gar nicht andere angreifen. Ich will meine eigenen Botschaften und die Botschaften, die die SPD für diesen Raum hat, unterbringen. Da sind Fragen nach der Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt, was bei uns hier im Kreis auch ganz oben zu stehen hat. Da sind Fragen der Investitionen in die Infrastruktur und in die Kommunen. Die Leistungs- und Handlungsfähigkeit des Staates in Zeiten der Schuldenbremse sind auch wichtige Themen. Es gibt auch Themen, die auch eher den ländlichen Raum betreffen, die in der Bundespolitik zu wenig eine Rolle gespielt haben. Wie die Hausärzteversorgung im ländlichen Raum. Ich vermute, dass wir dazu in den nächsten zwölf Monaten noch mal kräftig Gesprächsbedarf bekommen werden, gerade im Norden des Kreises Gütersloh. Ich denke auch an den Breitbandausbau im ländlichen Raum, der zu schleppend voran geht.

  • Versmold ist ein Zentrum der Fleischindustrie. Gerade diesem Industriezweig wird vorgeworfen, missbräuchlich Werkverträge und Leiharbeit zu nutzen. Von Ihnen war dazu wenig zu hören. Ist alles in Ordnung in Versmold?

    Thorsten Klute:Wenn Sie ganz konkret den Versmolder Arbeitsmarkt in den Fleischwarenfirmen ansprechen, dann ist das Problem an der Stelle so nicht vorhanden. Das haben wir eher an anderen Stellen. Das Thema Leiharbeit ist in Versmold seit Jahren auf der Tagesordnung. Wir haben sogar eine Leiharbeiter-Sprechstunde. AWO, NGG und SPD-Ortsverein machen das gemeinsam. Ich bin regelmäßig in die Leiharbeiter-Sprechstunden reingegangen.

  • Zuletzt hat NRW-Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) die Arbeitsbedingungen von Werkvertrags-Arbeitnehmern bei Tönnies kritisiert. Wie stehen Sie zu dieser Kritik?

    Thorsten Klute:Ich halte es für wichtig, dass das Landesarbeitsministerium Arbeitskontrollen durchgeführt hat. Das ist etwas, was im Rahmen der Landespolitik möglich ist. Die entscheidenden Fragen zu Werkverträgen und zu Missbrauch von Werkverträgen und zu Leiharbeit sind aber auf Bundesgesetzgeberebene zu regeln. Das Land NRW hat übrigens ausgehend vom Landesarbeitsministerium vor einiger Zeit eine Bundesratsinitiative gestartet. Die damaligen Bundesratsmehrheiten haben dies abgelehnt. Ich hoffe, dass wir demnächst mit veränderten Mehrheiten im Bundesrat handeln können.

  • Sie haben im SPD-Landesvorstand doch Einfluss. Konnten Sie nicht die Solidarumlage verhindern, mit der Städte insbesondere im Kreis Gütersloh für notleidende Kommunen viele Millionen aufbringen sollen?

    Thorsten Klute:Wir müssten über den Stärkungspakt Stadtfinanzen in NRW gar nicht reden, wenn die Kommunen eine bessere Finanzausstattung beim Bund bekämen. Und wenn wir beim Solidarbeitrag Aufbau Ost nicht mehr nach Himmelsrichtungen, sondern nach Bedürftigkeit schauen würden. Die Situation ist in einigen Kommunen dramatisch. Deshalb halte ich den Stärkungspakt Stadtfinanzen auch für richtig. Es werden derzeit Gespräche geführt darüber, ob das Land in der zweiten Stufe sich noch einmal mit einem eigenen Beitrag beteiligt. Ich halte das für richtig, und das Ganze geht jetzt in das parlamentarische Verfahren. Wir werden sehen, was dabei rauskommt. Ich halte übrigens auch einige Reaktionen, die wir hier im Kreis zu diesem Thema hatten, nicht im Sinne unserer Städte und Gemeinden.

  • Bleiben wir beim Geld. Wie reagieren die Bürger, mit denen Sie haben sprechen können, auf die von der SPD geplanten Steuererhöhungen?

    Thorsten Klute:Wenn man erklärt, wofür das Geld eingesetzt werden soll, nämlich für Kommunen, für Infrastruktur, für Straßen und Schienen im Kreis Gütersloh und für Bildung, dann wird das schnell sehr verständlich. Es wird auch verständlich, wenn man sagt, dass es eine Schuldenbremse gibt, dass man solche Investitionen bisher über Kreditaufnahmen finanziert hat und dass das in Zukunft so nicht mehr geht.

    Man kann aber den Staat nicht verkommen lassen. Es wird dann auch besonders klar, wenn man sagt, dass man Steuern für einige aber nicht für alle Menschen anheben will. Es geht um den Spitzensteuersatz für die besonders großen Einkommen, zum Beispiel ab 200 000 Euro für Verheiratete.

  • Trotz Rekordsteuereinnahmen wollen Sie die Steuern erhöhen. Müsste der Staat nicht wie jeder Arbeitnehmer mal versuchen, mit dem auszukommen, was man an Einkommen hat?

    Thorsten Klute:Von den letzten 60 Haushaltsjahren waren 50 Jahre immer Rekordsteuereinnahmen. Es ist verhältnismäßig normal, dass Steuereinnahmen jedes Jahr steigen, so wie in einem funktionierenden Arbeitsmarkt Jahr für Jahr Einkommen steigen. Der Staat hat in einem großen gesellschaftlichen Konsens neue Aufgaben übernommen. Ich rede von der Ganztagsbetreuung in den Schulen und vom U-3-Ausbau in Kitas. Das alles gibt es nicht zum Nulltarif.

  • Wie würden Sie in Berlin die A33-Diskussion führen? Würden Sie Verständnis für NRW-Verkehrsminister Groschek (SPD) haben, der immer sagt: Der Bund zahlt zu wenig Geld.

    Thorsten Klute:Ich bin ziemlich sicher, dass wir den Lückenschluss der A33 in den nächsten Jahren erleben werden. Wir werden immer wieder wachsam sein müssen, ob entsprechende Mittel vom Bund auch tatsächlich zur Verfügung gestellt werden. Da werde ich auf jeden Fall drauf schauen. Ich habe nicht den Eindruck, dass der Landesverkehrsminister da irgendetwas hemmt, im Gegenteil. Groschek hat klar gemacht, dass der Lückenschluss überfällig ist.

  • Zurück zum Geld. Bürger erleben stetig steigende Stromkosten. Das tut richtig weh.

    Thorsten Klute:Wir müssen ehrlich zu uns selbst bleiben. Wir können nicht hingehen und sagen, Atomstrom wollen wir nicht. Wir wollen erneuerbare Energien, aber es darf nichts kosten. Wir kommen an der Energiewende nicht vorbei, und ich halte sie für richtig. Sie ist für den ländlichen Raum eine große Chance. Wir können aber sofort den Strompreis senken, indem wir die Stromsteuer senken. Hier bin ich für eine Steuersenkung.

  • Würden Sie auch ein rot-rot-grünes Bündnis unterstützen?

    Thorsten Klute:Nein. Das ist völlig undenkbar. Ich kann bei den Linken nicht erkennen, dass sie bereit sind, Verantwortung für unser Land zu übernehmen. Ich erlebe deren Politik sehr reduziert auf Parolen, die spektakulär vorgetragen werden. Regieren heißt, dass wir in kleinen Schritten immer wieder eine Verbesserung erzielen. Mit Parolen geht das nicht.