„Es reizt mich, etwas wieder ins Lot zu bringen“

Will hoch hinaus: Versmolds Bürgermeister Thorsten Klute (39), hier vor dem Turm der Burg Ravensberg, möchte für die SPD den eher konservativen Wahlkreis Gütersloh I gewinnen. FOTOS: HERBERT GONTEK
Will hoch hinaus: Versmolds Bürgermeister Thorsten Klute (39), hier vor dem Turm der Burg Ravensberg, möchte für die SPD den eher konservativen Wahlkreis Gütersloh I gewinnen. FOTOS: HERBERT GONTEK

Kreis Gütersloh. Wer auf die Burg Ravensberg möchte, muss erst einmal einige Höhenmeter zu Fuß überwinden. Mit Rucksack und hochgekrempelten Hemdsärmeln genießt Thorsten Klute die kurze Wanderung sichtlich, bevor es im Burgcafé, nach kurzem Blick über den Kreis Gütersloh, um den Bundestagswahlkampf geht. Dort erzählte der 39-Jährige, warum es Peer Steinbrück schwer hat und Angela Merkel sich trotzdem etwas von ihm abgucken kann. Silke Derkum befragte den Bundestagskandidaten der SPD außerdem zu den Themen NSA-Affäre, Arbeitsmarkt und Europapolitik.

Herr Klute, wie hoch stehen die Chancen, dass Sie Ralph Brinkhaus im Kampf um die Erststimmen schlagen?

THORSTEN KLUTE: Ich weiß, dass es in der Geschichte des Wahlkreises noch nie geklappt hat, den SPD-Kandidaten direkt durchzusetzen. Aber es gibt ehemals konservativ geprägte Orte wie Versmold und Rietberg, wo es gelungen ist, neue Mehrheiten zu erzielen. Wir werden sehen, wie es am Wahlabend aussieht. Und nichts ist unmöglich.

Haben Sie inzwischen verdaut, dass der Mindener Achim Post Ihnen den sicher geglaubten OWL-Listenplatz 1 weggeschnappt hat?

KLUTE: Das ist weniger eine Sache einzelner Personen als ein machtpolitisches Gerangel. Es ist schade, wenn Kreisverbände nur die eigenen Interessen in den Mittelpunkt stellen. Aber ich kann zumindest nachvollziehen, wie die Entscheidung entstanden ist und muss das nicht persönlich nehmen.

Wie ist nun Ihre Motivation für den Wahlkampf?

KLUTE: Ich hoffe, man merkt, dass ich intensiv dabei bin. Mich reizt es einfach, zu einem guten Ergebnis im Kreis Gütersloh beitragen zu können.

Warum haben Sie sich überhaupt für den eher unbequemeren Weg nach Berlin entschieden, anstatt als Bürgermeister weiter sicher im Sattel zu sitzen?

KLUTE: Ich bin mit Leib und Seele Bürgermeister. Mir geht es nicht darum, irgendwo weg zu gehen, sondern irgendwo hin. Wir können in unseren Städten hier viel bewegen, trotzdem werden unsere Möglichkeiten stark von Land und Bund beeinflusst, zum Beispiel hinsichtlich der Finanzausstattung. Es reizt mich, daran mitzuwirken, etwas wieder ins Lot zu bringen, das sehr stark aus dem Ruder gelaufen ist. Bestimmte Themen, die für die Gesellschaft wichtig sind, kann man in der Lokalpolitik nicht anpacken.

Sie haben sich die Burg Ravensberg in Borgholzhausen als Ort für das Interview ausgesucht. Ist das ein besonderer Platz für Sie?

KLUTE: Ja, für mich und für alle, die in dieser Region aufgewachsen sind. Jeder von uns war schon mit dem Kindergarten oder der Schulklasse hier. Außerdem kann man von hier über den Kreis Gütersloh schauen, und seit einigen Jahren ist die Burg auch ein Symbol dafür, wie sehr bürgerschaftliches Engagement zu einer lebenswerten Umwelt beitragen kann.

In den vergangenen neun Jahren haben Sie sich als Bürgermeister naturgemäß hauptsächlich für Ihre Heimatstadt interessiert. Wie gut kennen Sie die anderen Orte des Kreises inzwischen?

KLUTE: Wir sind im Kreis Gütersloh enger miteinander verbunden, als das in der Öffentlichkeit ’rüber kommt. Wir haben viele gemeinsame Interessen und tauschen uns als Bürgermeister regelmäßig untereinander aus. Von daher gibt es keinen Ort, in dem ich in den vergangenen Jahren nicht gewesen bin.

In der SPD haben Sie außer Ihren lokalen Ämtern bisher eher Funktionen in der Landespartei übernommen. Wie gut sind Sie in der Hauptstadt vernetzt?

KLUTE: Nordrhein-Westfalen ist der stärkste Landesverband innerhalb der SPD. Zudem habe ich viele Kontakte aus einem zweijährigen Schulungsprogramm der Partei. Ansonsten habe ich mich bewusst keinem Lager angeschlossen, weil ich der Meinung bin, dass die SPD eine geschlossene Partei sein muss. Ich weiß aber, dass in Berlin die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Richtung irgendwann sehr wichtig sein kann.

Und welche wäre das bei Ihnen?

KLUTE: Ich würde mich wahrscheinlich bei der parlamentarischen Linken einordnen.

Arbeit und gerechte Bezahlung gehören zu ihren brennendsten Themen.

Sie waren vor Ihrer Politikerlaufbahn Rechtsanwalt. Kein Beruf, in dem man unter Unterbezahlung leidet oder von Arbeitgebern drangsaliert wird . . .

KLUTE: Nein, aber ich komme aus einer Arbeiterfamilie. Und auch als Anwalt habe ich Einblicke in verschiedene arbeitsrechtliche Themen nehmen können. Der Arbeitsmarkt ist einfach ein Punkt, bei dem die Schere auseinander gegangen ist. Er spielt eine ganz wichtige Rolle für die Integration oder wie weit arm und reich sich voneinander entfernen. Deshalb ist Arbeitsmarktpolitik einer der Schlüssel für erfolgreiche Veränderungen.

Auch beim Thema Steuern engagieren Sie sich – vermeintlich – gegen die eigenen Interessen. Als Jurist und Bürgermeister gehören Sie nicht zu den Geringverdienern.

KLUTE: Das stimmt. Aber ich sehe einfach, wie sich die Staatsfinanzen entwickelt haben. Wir erleben, wie private Vermögen sehr stark anwachsen, aber zugleich das öffentliche Vermögen immer mehr verfällt. Autobahnbrücken werden für Lkw gesperrt, und es entstehen große volkswirtschaftliche Schäden, weil die Fahrzeuge riesige Umwege fahren müssen. Auch für den Erhalt des Schienennetzes kann nicht mehr viel ausgegeben werden.

Wird durch die Schuldenbremse künftig eher noch weniger Spielraum für die Politik bleiben?

KLUTE: Das ist etwas, was ich aus der Bürgermeisterzeit mitgenommen habe: Wie wichtig die Ausstattung des Staates ist, um den Bürgerinnen und Bürgern ordentliche Leistungen bieten zu können. Deshalb setze ich das Thema Steuern auch so weit nach oben. Es ist richtig, dass wir die Schuldenbremse haben. Ich hätte auch dafür gestimmt, wäre ich schon im Bundestag gewesen. Aber wenn man dem Staat richtigerweise untersagt, bei den Krediten so weiterzumachen wie bisher, muss man ihm auch die Mittel geben, in Schulen und Kindergärten, Schienen oder den Breitbandausbau zu investieren.

Was macht Peer Steinbrück falsch, wenn er trotz dieser bei vielen Wählern populären Themen keine höheren Umfragewerte erzielt?

KLUTE: Wir haben noch vier Wochen bis zur Wahl und sicher wird der Abstand zwischen den beiden großen Parteien noch geringer. Peer Steinbrück ist auf jeden Fall der bessere Kanzler und mit dem starken Programm, das wir im Rücken haben, macht er gar nicht so viel falsch.

Aber warum läuft es bisher nicht so optimal für ihn?

KLUTE: Ich fand es spannend zu beobachten, wie viel Rückhalt Peer Steinbrück vor seiner Kandidatur in einigen Medien fand und wie diese Unterstützung mit dem Tag der Bekanntgabe der Kandidatur schlagartig zurück ging. Ich weiß nicht, welchen Grund es dafür gab, aber für den Wahlkampf war das natürlich eine besondere Herausforderung.

Kann er sich etwas von Angela Merkel abgucken?

KLUTE: Das müssen Sie ihn selber fragen. Da bin ich nicht der Richtige, um Tipps zu geben. Viel interessanter wäre, was sie sich von ihm abgucken kann.

Was wäre das?

KLUTE: Es gab ja zum Beispiel sehr viele Ankündigungen und wenig Umgesetztes. Ich denke da unter anderem an den flächendeckenden Breitbandausbau. Daraus ist nichts geworden. Das wäre etwas, was Peer Steinbrück als Bundeskanzler definitiv anders machen würde.

Je nach Institut schwankt die FDP bei der Sonntagsfrage zwischen fünf und sechs Prozent. Wie sehr hoffen Sie darauf, dass es am Ende nur 4,9 Prozent sind?

KLUTE: Das haben die Wählerinnen und Wähler zu entscheiden. Wir kämpfen für Rot-Grün, wir kämpfen für eine starke SPD und den Regierungswechsel und gucken nicht darauf, wie viel Prozent die anderen Parteien haben.

Kann es eine rot-grüne Koalition unter Duldung der Linken geben?

KLUTE: Nein, das wird es nicht geben.

Decken sich denn nicht viele Positionen der Linken mit denen der SPD?

KLUTE: Ich vermisse bei der Linken den Willen, konkret Verantwortung für unser Land zu übernehmen. Politik beschränkt sich bei ihnen oft auf spektakuläre Floskeln, aber nicht auf den Wunsch, für das Land zu arbeiten. Und Regieren heißt, in Kleinarbeit Schritt für Schritt Verbesserungen zu erzielen.

Sie setzen in Versmold das Thema Energieeffizienz beziehungsweise regenerative Energien sehr weit oben auf die Agenda. Man könnte den Eindruck bekommen, dass Sie im Herzen eher ein Grüner sind.

KLUTE: Die Zeiten, in denen Energie und Umwelt nur Themen einer einzigen Partei waren, sind vorbei, und das ist auch sehr gut so. Das ist sicher auch ein Erfolg der Grünen, dass sie Umweltthemen in andere Parteien mit reingetragen haben. Und die Energiewende ist für uns, gerade im ländlichen Raum, auch eine große Chance.

Wie sehr spielt die NSA-Affaire Ihrer Partei in die Karten?

KLUTE: Es geht gar nicht darum, ob das im Wahlkampf in die Karten spielt oder nicht. Wir alle haben zwar immer geahnt, dass schon eine ganze Menge technisch möglich ist, dass es aber tatsächlich stattfindet, das wird uns jetzt immer mehr vor Augen geführt. Mich beunruhigt diese Entwicklung, und dass wir das in der Bevölkerung so verhältnismäßig teilnahmslos hinnehmen. Bevor man ein politisches Urteil fällen kann, muss man aber auch in vollem Umfang wissen, was dahinter steckt, wer deutsche Grundrechte, die hier verletzt zu sein scheinen, missachtet und wie deutsche Behörden damit in Verbindung stehen.

Verschlüsseln Sie jetzt Ihre Mails?

KLUTE: Ich habe meine Mails teilweise schon vorher verschlüsselt. Wir haben mal eine Schulung im Rathaus dazu gemacht.

Dass Ihnen das Thema Europa am Herzen liegt, haben Sie zum Beispiel durch Ihr Engagement für Städtepartnerschaften bewiesen. Wie sieht es auf der großen Bühne aus?

KLUTE: Der größte Erfolg der Europäischen Union ist, dass wir seit 60 Jahren in Europa Frieden haben und das muss weiter im Vordergrund stehen. Die wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Stabilität der Währung sind keine Selbstzwecke, denn wir sind sehr stark auf die EU angewiesen.

Hat Deutschland sich in Sachen Eurorettung richtig verhalten?

KLUTE: Bei der Eurorettung hätte ich mir gewünscht, dass Deutschland konsequenter gehandelt und bei der Frage, ob andere Staaten unterstützt werden sollen, nicht so einen Eiertanz veranstaltet hätte. Deutschland hat damit in Teilen die Krise verschärft.

Sie stehen in dem Ruf, sich Kritik sehr zu Herzen zu nehmen.

KLUTE: Ich weiß gar nicht, ob das wirklich so ist. Ich musste bestimmt erst lernen, mit Kritik umzugehen. Jetzt bin ich aber schon neun Jahre im Amt, und habe mir schon einiges angehört und – das gebe ich offen zu – auch andere mussten sich von mir schon Kritik anhören.

Ist Ihr Fell für Berlin dick genug?

KLUTE: Ja. Es schmerzt immer nur dann, wenn es sehr ungerecht ist.

Wenn Sie früher auf eine Kandidatur für Berlin angesprochen wurden, verneinten Sie, mit dem Argument, dass Ihre Familie sich in Versmold heimisch fühlt. Könnten sich Ihre Frau und Töchter inzwischen einen Umzug in die Hauptstadt vorstellen?

KLUTE: Das steht überhaupt nicht zur Diskussion. Abgeordnete haben ihren Wohnsitz im Wahlkreis. Außer den Sitzungstagen in Berlin ist es Aufgabe der Abgeordneten, ihren Wahlkreis zu betreuen und so viel wie möglich für ihren Kreis rauszuholen. Dafür muss man im Kreis Gütersloh wohnen.

Sollte es mit dem Bundestag nichts werden, werden Sie sich wieder als Bürgermeister bewerben oder auf anderen Wegen Ihren Platz in Berlin oder vielleicht in Düsseldorf suchen?

KLUTE: Wir fokussieren uns bis zum 22. September vollständig darauf, einen erfolgreichen Wahlkampf zu führen. Und allein das steht bis dahin im Mittelpunkt.

© 2013 Neue Westfälische
07 – Gütersloh, Samstag 24. August 2013